Verhaltenssüchte

Hintergrund

Von einer Verhaltenssucht (bzw. Verhaltensabhängigkeit) wird gesprochen, wenn ein bestimmtes stoffungebundenes Verhalten exzessiv betrieben und zwanghaft wiederholt wird und den Charakter eines unwiderstehlichen Drangs, bzw. einer Abhängigkeit entwickelt hat.

Betroffene verlieren häufig die Kontrolle über Beginn, Frequenz, Intensität, Dauer sowie Beendigung der Aktivitäten und führen sie trotz negativer Konsequenzen fort. Starke Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen können die Folge sein. Zu den Verhaltenssüchten zählen unter anderem:

▶ Abhängiger Internet-, Computer- und Mediengebrauch

▶ Suchartiges Bewegungs- und Sportverhalten

▶ Suchtartiges Sexualverhalten

▶ Pathologisches Glücksspielen

▶ Suchtartiges Arbeitsverhalten

▶ Suchtartiges Kaufverhalten

Auch die Sucht nach dem Nutzen sozialer Netzwerke oder dem Verwenden des Smartphones werden den nichtstoffgebundenen Süchten zugerechnet und gewinnen immer mehr an Bedeutung. Obwohl die Forschungsaktivitäten im Bereich der Verhaltenssüchte in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben, handelt es sich um ein vergleichsweise neues Forschungsgebiet.

Diagnostik

In den wichtigen Diagnosesystemen psychischer Erkrankungen, dem ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) sowie dem DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) war von den Verhaltenssüchten bislang nur das pathologische Glücksspiel als eigenständiges Störungsbild enthalten, welches allerdings als „Störungen der Impulskontrolle“ ohne Status einer eigenständigen Abhängigkeitserkrankung aufgelistet war. Obwohl in den neuesten Versionen dieser Diagnosesysteme (DSM-5, ICD-11) mit Blick auf bestimmte Verhaltenssüchte (z.B. der Computerspielstörung) erstmals Ansätze der Klassifizierung vorgenommen wurden, sind für andere Süchte noch deutliche Defizite zu verzeichnen. Ungeachtet der immer noch fehlenden anerkannten Diagnosekriterien sind die oben aufgelisteten Verhaltenssüchte immer häufiger Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.

Epidemiologie

Verhaltenssüchte sind in der Bevölkerung weit verbreitet. In der deutschen Bevölkerung sind schätzungsweise ein 1 % von Glücksspielsucht und 1 % von Internetspielsucht betroffen. Etwa 5 % sind stark kaufsuchtgefährdet. Allgemein sind Verhaltenssüchte allerdings immer noch unterdiagnostiziert und gelangen somit selten in entsprechende Statistiken sowie den Behandlungsfokus.

Computer- und Internetabhängigkeit scheint im Vergleich zu Erwachsenen eher bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein Problem zu sein. In der Drogenaffinitätsstudie der BZgA wurde mittels „Compulsive Internet Use Scale“ ein Anteil von 8,4 % der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen ermittelt, bei welchen eine computerspiel- und internetbezogene Störung vorliegen könnte. Weibliche Jugendliche sind mit 10,0 % sogar stärker betroffen als ihre männlichen Altersgenossen (7,0 %). Von den jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren überschreiten 5,5 % den Schwellenwert für eine computerspiel- oder internetbezogene Störung.

Public Health Impact

Es gibt Hinweise dafür, dass aufgrund verschiedener sozialer Prozesse, die sich auf die individuelle Entwicklung auswirken, Verhaltenssüchte weiter auf dem Vormarsch sind. Dazu zählt unter anderem das durch die Digitalisierung immer größer werdende Angebot sowie die permanente und unmittelbare Verfügbarkeit von Konsumgütern und -gelegenheiten, die den Rahmen für suchtartiges Verhalten bilden.

Präventive Maßnahmen, z.B. in Form von Werbeverboten oder der Förderung von Medienkompetenz, sind hingegen nur in stark begrenzter Form verfügbar. Erschwerend kommt hinzu, dass Verhaltenssüchte bislang nur ungenügend anerkannt sind und entsprechende Präventions- und Therapiemaßnahmen folglich nicht entwickelt und angewendet werden.

Quellen und weiterführende Literatur

  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2020). Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2019. Online verfügbar unter https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/Drogenaffinitaet_Jugendlicher_2019_Teilband_Computerspiele_u_Internet.pdf
  • Hansen, J., Hanewinkel, R., Goecke, M., & Morgenstern, M. (2022). Prävention der exzessiven Mediennutzung im Kindes- und Jugendalter. Monatsschrift Kinderheilkunde, 170(5), 435-442.
  • Rumpf, J. H. (2022). Verhaltenssüchte–Ein Update. Suchttherapie, 23(S 01), PL_06.
  • Sonnenmoser, M. (2020) Verhaltenssüchte: Prävention von großer Relevanz. Dtsch Arztebl Int. 19(11), 503-505.
  • Soyka, M., Batra, A., Heinz, A., Moggi, F., & Walter, M. (Eds.). (2018). Suchtmedizin. Elsevier Health Sciences.